Arnbacher Gespräche Übersicht                Arnbacher Gespräche 2001

Jahresthema 2001: Alles hat seine Zeit

3. Zeit schenken, Zeit verschwenden -
Mein Umgang mit der Zeit


Referent
Dr. Hubert Klingenberger
, Domberg Freising


Bericht Süddeutsche Zeitung      -     Bericht Münchner Merkur



Kontroverses Arnbacher Gespräch um die Bedeutung fester Handlungsabläufe im Leben / Freiheit gestalten

Rituale strukturieren Zeit und geben Sicherheit
Von Christa Fünffinger, Süddeutsche Zeitung, Dachauer SZ

Arnbach Der Menschbraucht Rituale. Sie geben ihm Sicherheit und Orientierung im täglichen Leben. Sie helfen auch beim Übergang in neue Lebensphasen, meint der Pädagoge und Psychologe Hubert Klingenberger.

Beim letzten der diesjährigen drei Arnbacher Gespräche des Katholischen Landvolks entwickelte sich zu, diesem Thema eine lebhafte und durchaus kontroverse Diskussion.

Gut 50 Besucher waren auch zur dritten Veranstaltung in den alten Pfarrhof gekommen. Die Katholische Landvolkbewegung griff in diesem Jahr Aspekte des Themas Zeit auf.

Nach dem Rabbiner Steven Langnas und dem "Zeitforscher" Professor Karlheinz Geißler war am Mittwoch Dr. Hubert Klingenberger vom Kardinal-Döpfner-Haus Freising zu Gast.

Foto: Horst Lachmann
Dr. Hubert Klingenberger

Foto: Horst Lachmann
Dr. Klingenberger arbeitete mit einem Overhead-Projektor

"Zeit schenken, Zeit verschwenden - Mein Umgang mit der Zeit" war die Veranstaltung überschrieben. Klingenberger, der in Freising Kurse zur "lebensbegleitenden Bildung" hält, ging dieses Thema anders an, als einige Besucher wohl erwartet haben.

In den Mittelpunkt stellte er Rituale, allerdings nicht in ihrer religiös-spirituellen Ausrichtung. Sie haben nach Meinung des Psychologen durchaus mit Zeit zu tun. Einfach, weil ihre Ausführung Zeit braucht und rein ökonomisch betrachtet Zeitverschwendung sein könnte.

"Sie alle haben solche Rituale", sagte der Psychologe. Die stimmten ein auf verschiedene Ereignisse im Tages- oder Jahresablauf, gäben Sicherheit und Orientierung in einer Welt, in der sich nicht nur Zeitstrukturen, sondern auch Werte auflösten.

Das gemütliche Zeitunglesen am Morgen kann dazu gehören, der Mittagsschlaf oder im Jahreskreis "das Ablaufprogramm zur Erzeugung von Weihnachtsstimmung am Heiligen Abend".Nach Klingenbergers Definition sind Rituale wiederkehrende Verhaltens-weisen, ohne die einem etwas fehlt. Sinnvoll, solange daraus kein Zwang oder eine leere Pflichtübung wird. Auch für die Gestaltung von Übergängen in neue Lebensphasen hält Klingenberger Rituale für sinnvoll. Er bedauerte beispielsweise, dass es keine für die Ehescheidung gibt.

Zwang und Pflichtübung

Bei einigen Besuchern stieß er damit auf Widerstand. Sie fanden den Wert, den der Psychologe Ritualen beimisst, zu hoch angesetzt.

Als "Zeiten des Zwischendrin" seien sie ein Teil des Lebens, ordnete sie der Referent schließlich ein.

Foto: Horst Lachmann

Andere meinten, Rituale machten unfrei, verhinderten Spontaneität. "Kann man ohne Rituale leben?", fragte ein Besucher.

"Ich glaube, ja. Aber ich glaube, es ist nicht sehr gesund", antwortete Klingenberger.

"Freiheit muss gestaltet werden." Mit Freude aus der Verunsicherung leben -ein Gedanke der Schriftstellerin Christa Wolf - könnten die wenigsten Menschen.

CHRISTA FÜNFFINGER, Süddeutsche Zeitung (Dachauer SZ) vom 10.3.2001


Arnbacher Gespräche nehmen die Zeit ins Visier
Rituale geben Halt und sichernen Alltag
Dr. Klingenberger zum Thema: Mein Umgang mit der Zeit
Münchner Merkur, Dachauer Nachrichten vom 15. März 2001

Foto: Alfred Bayer
Dr. Hubert Klingenberger

Dachau/Arnbach (red) - Wie sehr haben wir unsere Zeit funktionalisiert, sodaß kein Freiraum mehr Platz hat; oder wieviel bewußt gestaltete Übergänge gönnen wir uns, wenn wir im Tagesablauf von einem Zeitabschnitt zum andern wechseln?

Mit dieser Frage forderte der Referent Dr. Hubert Klingenberger die über 50 Zuhörer heraus, in ihrem täglichen Leben Alltagsrituale, Übergänge zu entdecken.

Vom Spazierengehen über die Morgenzeitung, vom Gebet bis zur Sitzordnung bei den gemeinsamen Mahlzeiten reichten die Ideen. Rituale kosten Zeit, eine Zeit die verschwendet erscheint, aber in Wirklichkeit ganz wichtig ist, weil Rituale den Menschen in Situationen hineinfinden lassen, ihn innerlich ankommen lassen, ihn einstimmen in die Abschnitte des Tages oder in einen neuen Lebensabschnitt.

Diese Rituale, die ganz unterschiedlich sein können je nach den Lebensgewohnheiten, geben Sicherheit, weil sie immer gleich ablaufen.

Sie haben einen spirituellen Aspekt, weil sie Halt und Orientierung geben, weil sie heilen und befreien. Sie sind die Atempausen des Lebens. Wer zwischen Nacht und Tag kein Ritual hat, steht sozusagen mit dem falschen Fuß auf, sein Tag läuft schief Wer zwischen Arbeit und Freizeit kein Übergangsritual hat, schleppt seine Berufssorgen mit.

Foto: Alfred Bayer
Foto: Horst Lachmann

Umgekehrt erleichtert ein Ritual zum Arbeitsbeginn, neu in die Arbeit einzusteigen und konzentriert zu arbeiten. Und wer schlecht schläft, braucht vielleicht ein Ritual zum Übergang in die Nacht. Diese Rituale können ganz banal sein, z.B. den Schreibtisch in bestimmter Weise herrichten, eine morgendliche Tasse Kaffee mit Kollegen, eine bestimmte Art zu frühstücken oder besinnlich ein Glas Rotwein zum Abend schlürfen oder ein Gebet, ein guter Gedanke. Wir müssen nur sensibel werden für die Form, die uns gut tut.

Auch Lebensübergänge wie Taufe, Eheschließung oder Tod brauchen ein Ritual, das den Übergang gestaltet. Gemeinsame Rituale in der Gemeinde, Familie oder Gruppe sind gemeinschaftsstiftend, ohne sie fällt eine Gemeinschaft auseinander.

Rituale geben der Zeit Strukturen, sie entlasten, weil sie in geübten Bahnen ablaufen, sie bereichern, weil sie Erlebtes nachschwingen lassen, sie heilen, weil sie auf neue Situationen einstimmen. Weil durch sie die Zeit nicht konturenlos auseinanderfließt, wird sie lebendiger erlebt. Einige Zuhörer wiesen auch kritisch auf erstarrte Rituale hin.

Alles was einengt statt zu befreien, meinte der Referent, sollte man weglassen und die Lücke vielleicht später durch ein neues Ritual schließen. Denn wenn ein Ritual fehlt, können wir auch aus unserem inneren Gleichgewicht kommen. Allerdings wer aus einem Ritual ausschert, weil es für ihn nichts mehr bedeutet, müsse auch bedenken, daß er damit andere verunsichern kann, vielleicht aber auch zum Nachdenken bringen kann, ob ein erstarrtes Ritual im Leben noch hilft. Und schließlich betonte er, sollte es auch ein Ritual sein, Zeit für sich selbst in seinen Terminkalender einzutragen.

Münchner Mekur, Dachauer Nachrichten vom 15.3.2001