Arnbacher Gespräche Übersicht                   Arnbacher Gespräche 2018

Jahresthema 2018: Metropolregion - Gefahr für den ländlichen Raum ?
"Ländlicher Raum in der Boomregion München -
eine aussterbende Spezies?"

Prof. Dr. Holger Magel
TU München, Präsident der Bayer. Akademie Ländlicher Raum
Mitglied der Enquetekommission "Gleichwertige Lebensbedingungen in ganz Bayern"
Donnerstag, 8. März 2018 in der Landvolkshochschule Petersberg

 



Berichte über die Veranstaltung:

Vortrag Prof.Magel     -     Münchner Merkur (Bayernseite)     -     Dachauer SZ

 


 

Gibt es für den Münchner Ballungsraum denn keine Wachstumsgrenzen ?"
von Univ.Prof. EoE Dr.- Ing. Holger Magel


Referent - Prof. Dr. Holger Magel

Aufregerthema Flächenfraß

Meine sehr geehrten Damen und Herren, heute geht es um ein höchst komplexes Thema, das ich natürlich nicht allzu "unterkomplex", aber gleichwohl in gebotener Kürze behandeln darf. Einige wenige und kräftige Pinselstriche müssen genügen. Längst könnte ich Waschkörbe füllen mit Zeitungsartikeln, Leserbriefen, Gast-beiträgen und Zuschriften hierzu und Stellungnahmen aller möglichen Verbände zum Megathema, das auch für uns heute Abend den Hintergrund abgibt: Es geht um die rasante Veränderung unserer Lebensräume, die Zukunft von Stadt und Land, um maßlosen oder maßvollen Flächenverbrauch , um Versiegelung oder notwendige Erschließung und Entwicklung des Landes, im Speziellen des Dachauer, Starnberger, Fürstenfeldbrucker, Freisinger etc. Landes im Ballungsraum München.

Sage keiner, dass im ziemlich absolut regierten Bayern die Opposition keine Macht hat: zuerst zwingen die FW (= Freien Wähler) mit ihrem angedrohten Volksbegehren zum Thema Abschaffung der (für mich noch nie nachvollzieh-baren) Straßenausbaubeiträge die Regierungspartei zu einer Vollbremsung und glatten 180-Grad-Wendung - fast schon so, wie es die SPD beim Thema GroKO hingelegt hat.

Und nun treiben die GRÜNEN mit ihrer Flächenfraß-Kampagne die CSU vor sich her und zwingen diese im Zeichen des nahenden Landtagswahlkampfes und eines drohenden Volksentscheids zu völlig ungewohnten Vorschlägen zum Flächen-sparen. Auch die Verbände bringen sich in Stellung: am einfachsten macht es sich (fast schon gewohnt) die IHK (= Industrie und Handelskammer), die das Volksbegehren ablehnt und darauf hinweist, dass doch alles nicht so schlimm sei - Wohlstand und Zukunft der Unternehmen hingen einfach von verfügbaren Flächen ab. Und außerdem: der Landkreis München z.B. habe doch immer noch fast 80% Freiflächen aus Wald und LN (= landwirtschaftlicher Nutzung).

Fundierter geht der Bayerische Gemeindetag an das Thema heran: seine sehr konkreten Forderungen und Vorschläge, darunter auch zu einer kritischeren Haltung gegenüber Ansiedlung der Heiligen Kühe Logistikzentren im Außenbereich, sind bedenkenswert.

Im Unterschied zur StraBS-Thematik, (= Straßenausbaubeiträge-Satzung) die man mit viel Geld lösen kann, ist es beim Thema Flächenkonsum und dem dahinter stehenden Wachstumsparadigma nicht so einfach: unser eigenes Lebens- und Wohlfahrtsmodell steht möglicherweise auf dem Prüfstand, unsere Werte und Werthaltungen gerade auch zum Thema ‚Generationengerechtigkeit und Verzicht zugunsten der Kindeskinder', das ja ein Pfeiler der in der EK behandelten Räumlichen Gerechtigkeit und Gleichwertigen Lebensbedingungen ist; auf dem Prüfstand steht auch unser Wirtschaftsmodell, das m.E. noch nie wirklich nachhaltig war, sondern auf ein "Immer mehr" und "Immer weiter so" gerichtet ist. Offensichtlich sind wir unfähig, diesbezüglich umzudenken, ansonsten hätten wir nicht den Scherbenhaufen einer verfehlten Verkehrs- und Mobilitätspolitik! Gerade auch im Ballungsraum München! Gerhard Matzig hat unlängst von einem Pendler-Pandämonium (Horrorwelt) gesprochen!

Ich habe durchaus Probleme mit der Initiative der GRÜNEN, weil ich befürchte, dass wir, falls es zur Verfassungs- änderung kommt, eine EK brauchen, die wie bei der Gleichwertigkeit erst einmal klärt, wie die 5-ha Begrenzung gerecht umgesetzt werden soll: zugunsten der Ballungsräume, weil da mehr Menschen wohnen, oder zugunsten der Ländlichen Räume, weil dort weiterhin und erst recht eine die Ballungsräume entlastende Entwicklung möglich sein muss. Die Verwal-tung von Flächenzertifkaten wäre in der Praxis ein wahres Bürokratiemonster. Aber der Anstoß, endlich das Thema ernst zu nehmen, ist richtig! Wir leben über unsere Verhältnisse und beschädigen unsere begrenzten Ressourcen und Schönheiten. Das passiert natürlich überall auf der Welt - Bali z.B., die Trauminsel, ist ein gutes Beispiel, wie sich die Insel aufgrund hemmungslosen Landverbrauchs und wahlloser Besiedelung selbst zerstört; China auch, aber da ist es einfacher: wenn Fläche verloren geht durch Urbanisierung, reißt man einfach wieder einige tausend Dörfer nieder und widmet das gewonnene Land um zu Ackerland. Es muss ja die 120 Mio. ha Mindestagrarfläche gewahrt bleiben!

Nichts anderes passiert übrigens auch in Deutschland, nur dass es hier der gefräßige Braunkohlen-abbau ist, dem im Jahre 2018 (!!!) sogar Kirchen zum Opfer fallen. Ich weiß nicht, wie es Ihnen gegangen ist, als Sie die Bilder vom in zwei Tagen erledig-ten Abriss des Immerather Doms gesehen haben. Wo bleibt da der Aufschrei der Kirche, der Öffent-lichkeit? Über dieses unsägliche Kapitel möchte ich aber nicht weiter reden: es zeigt nur das Geflecht zwischen kurzfristigen Wirtschaftsinteressen, der Tot-schlagkeule Arbeitsplätze und der Ohnmacht der Politik, vo-rausschauende und nachhaltige Politik zu betreiben.

Jetzt bremst die Sorge um die 800 000 Arbeitsplätze in der Autoindustrie die Politik vor gerechten Strafmaßnahmen gegenüber den Verantwortlichen. Nebenbei: auch ich bin ein Geschädigter dieser Autoindustrie. Mag sein, dass alles viel komplexer ist, als wir uns das denken, aber dieses Herumdrucksen des auslaufenden geschäftsführenden Verkehrsministers in diversen Talkshows war mehr als erbärmlich, ja entlarvend. Ich frage mich, gerade als Universitätslehrer, der junge Menschen auch in Richtung Ethik und Werte lehrte, warum wir so viel von Werten und Corporate Social Responsibility etc in den Unternehmen schwafeln, wenn so eklatant von oben begonnen dagegen verstoßen wird. Wie schreibt der einstige Unternehmer Prof. Randolf Rodenstock in der neuesten Publikation des Roman Herzog Instituts "Werte -und was sie uns wert sind. Eine interdisziplinäre Anthologie. Deutschland neu denken" so schön: "Die (unverkenn- und unvermeidbar eingetretene) Wertevielfalt ist nicht mit Beliebigkeit gleichzusetzen. Sie darf nicht dazu führen, dass alles, was machbar ist, auch erlaubt ist".

Zurück zum Thema Flächenverbrauch, den z.B. StM Brunner und tlw.auch der Bayerischer Bauernverband (BBV) seit langem beklagen, nur ohne rechtes Echo in der breiten Gesellschaft. Verlust von Landwirtschaftlichen Flächen (LF) ist kein die Gesellschaft berührendes Thema mehr, wohl aber die mit Flächenverbrauch verbundenen Veränderungen von Orts- und Landschaftsbildern und unserer Heimat und Identität! Für mich war das immer schon ein Thema - ob bei Dorferneuerung, neu konzipierter,nämlich ökologischer ausgerichteter Flurneuordnung oder bei Integrierter Ländlicher Entwicklung. Ich erinnere mich, dass ich Kritik erntete, als ich als ministeriell Zuständiger in jedem Flurbereinigungsverfahren neben einer ökologischen auch eine landschaftsästhetische Bilanz forderte. Genau das schlägt nun der Gemeindetag vor, genau das haben wir im Zuge der Lockerung des Anbindegebots im neuen Landesentwicklungsplan (LEP) für die von uns erkämpfte Abwägung mit Orts- und Landschaftsbild gefordert - gegen erheblichen Widerstand von IHK und Abgeordneten, die fast zwanghaft immer nur auf Seiten der wirtschaftlichen Interessen stehen - obwohl jede Befragung zeigt, dass der Bevölkerung die Schönheit der Landschaft wichtiger ist als Arbeitsplätze etc. Dieses zwanghafte Eintreten von Politikern für Wirtschaft, Arbeitsplätze und Wachstum war ja auch ein Thema beim Landkreisentwicklungsplan Dachau: hier der Wunsch der Bürger, von manchen Lokalpolitikern verächtlich als die ewigen Neinsager etikettiert, und dort der Oberbürgermeister und die "Fast-Ob's" der größeren Gemeinden, die reflexhaft gegen Wünsche nach Freihaltung der Landschaften waren.


Prof. Dr. Magel mit Altbürgermeister und KLB-Beirat Michael Reindl

Es wäre wirklich an der Zeit, dass wir in unserer reichen Gesellschaft ausgeglichener und vorurteilsfreier mit Ökonomie, Ökologie und mit (Be)Heimat(ungs)aspekten und -gefühlen umgehen. Das Ge-genteil ist der Fall: es tobt unverändert ein Kampf! Das Schielen nach Gewerbesteuer-einnahmen , wenn schon keine nennenswerten Arbeitsplätze bei angelockten oder herein-drängenden Discountern und Logistikunternehmen winken.

Ich weiß nicht, ob bei allem Ruhm, so bekannt zu sein (das hat Frau Kohnen eher nötig gehabt), der designierte neue MP so glücklich darüber ist, als El Marco im Nockherberg- Singspiel zu glänzen und mit dem unvergänglichen Satz noch berühmter geworden zu sein: "Wer seine Heimat liebt, der versiegelt sie."

Da muss jetzt viel landesväterliche Milde und Ausgeglichenheit Platz greifen,um dieses Label des hemmungslosen Gewerbegebietsförderers wieder los zu werden .. Aber noch andere Spitzenpolitiker haben ihr Fett abbekommen: wen sonst als die Lokalpolitiker in München und im Ballungsraum muss der Satz aus dem Munde der kalt lächelnden Investorin Apanatschi alias Uschi Glas getroffen haben: "Mei, Heimat muss man sich halt auch leisten können."


Auf was können wir uns noch verlassen?


Damit bin ich endgültig beim Thema: Ich will nicht verkennen, dass sich die Stadtspitze und alle Verantwortlichen im Ballungsraum um die Erhaltung von Heimat für die jetzigen und für die künftigen Bürger bemühen .Die Frage ist, ob sie dabei die richtige Strategie anwenden und die erfolgversprechenden Wege beschreiten.

Ich möchte Ihnen nun einige durchaus provokative Ansichten präsentieren, die zu kontroverser und weiterführender Diskussion anregen mögen.

Zuvor aber einige grundsätzliche Gedanken, die mir bei diesem Thema schon seit längerem durch den Kopf gehen, nun aber an hoher Aktualität gewonnen haben:

1. Schaffen Staat und Politik nicht mehr, für Schutz, Ordnung, Fairplay, Ehrlichkeit und - ganz neu - für die Lebensqualität und Gesundheit der Bürger zu sorgen? Das alles gehört für mich in Zeiten eines neuen Staatsverständnisses unverändert zu den Kernaufgaben eines funktionierenden Staates!! Dass eine private Umwelthilfe vor Gericht ziehen muss, damit das Leben der Bürger vor Abgasen gesichert wird, lässt einen schier verzweifeln - selbst wenn man als getäuschter Diesel Pkw-Besitzer persönliche Konsequenzen befürchten muss. Offensichtlich gilt nur noch eines: Gier, Gier und nochmals Gier nach Wachstum sowie Geld- und Umsatzsteigerung - und dies nicht nur allein in der Autoindustrie. Das Problem dabei - wir wissen es: Wir alle sind mitschuldig geworden, zu sehr haben wir uns diesem Mechanismus ergeben. In diesem Umfeld wächst ja auch die Jugend auf. Ein Riesenthema gerade auch für den Petersberg!!!!

Übertragen auf unser heutiges Thema: Wachstum als Paradigma scheint der neue Religionsersatz. Wir glauben - ob es der OB von München oder der Landrat von München oder viele Landbürgermeister sind, die neue Gewerbegebiete ausweisen wollen oder (wie sie sagen) müssen,- dass ohne ständiges Wachstum unser Lebensstandard bedroht ist. Im Zweifelsfall regiert deshalb Ökonomie vor Ökologie. Und die Menschen akzeptieren das: sie wohnen und arbeiten dann halt dort, wo es "brummt" und wo viel Geld und das möglichst für beide Elternteile verdient werden kann. Die sog. Schwarmstädte sind ein hübscher, aber zutiefst alarmierender Ausdruck für die Ansammlung von meist jungen, kreativen und hochqualifizierten Menschen in dynamischen und die Zukunft versprechenden Städten. Die jungen Menschen scheinen für den ländlichen Raum verloren. Es ist noch nicht untersucht, ob solche Schwarmstädte Moden unterzogen sind. Jedenfalls steht fest: München ist im höchsten Maße Schwarmstadt Nr.1 in Deutschland. Es gibt aber auch - das sei als Mut machender Hinweis auf Strategien vorsorglich angemerkt - auch mittelgroße Schwarmstädte abseits der Ballungsräume in ländlichen Regionen.

2. Die derzeit ablaufende neue Welle der Urbanisierung schafft trotz aller Hosianna-Rufe immer mehr Probleme: Als Münchner Stadt- und Umland-Bürger, gar als tägliche Pendler, wissen wir alle, wovon ich rede. Das Matzig-Zitat vom Pendler-Pandämonium, also von der fast schon allwöchentlichen Pendlerhölle habe ich bereits erwähnt. Aber wundert's uns? Ein Innehalten gibt es nicht, will offensichtlich auch niemand. Lieber weiter so mit diesem blamablen Zustand, der nur noch schlimmer wird. Wenn mehr als 400 000 Menschen täglich nach München einpendeln, ob mit Auto oder S-Bahn, muss es zum regelmäßigen Crash kommen! Das schafft kein Verkehrssystem der Welt. Radfahren als letzte Hoffnung? Da sage ich jetzt lieber nichts. Der Wahnsinn ist diese Dimension der Pendelei, die bei uns hingenommen wird wie Gott gegeben, auch die Tatsache, dass - wie Matzig in seinem SZ Aufmacher "Land in Sicht" schreibt - die Landflucht als Gott gegeben angesehen wird. Sie ist nicht Gott gegeben - sie ist Resultat einer zu laschen Landesentwicklungssteuerung! Da ist Bayern nicht allein - alle haben versagt. Wenn Horst Seehofer nun als neuer bundesdeutscher Heimatminister in ganz Deutschland, also auch in Ostdeutschland, für gleichwertige Lebensbedingungen sorgen will, und das allerdings etwas stumpfe Instrument der nationalen Raumordnung hat er ja an der Hand, dann müsste er energisch anfangen, die Menschen aus den Ballungs-räumen abzuwerben bzw. zurückzuholen mithilfe attraktiver Wohn-, Arbeitsplatz-, Bildungs-, Gesundheits- und Altenpflege - und technischer Infrastruktur. Mich wundert, wie geduldig wir alle die Nachteile des Stadt- und Umlandlebens akzeptieren, ob das nun die Probleme des Verkehrs, der Luftqualität und der Mietpreissteigerungen, die astronomischen Bauland- und Hauspreise oder die schleichende Verschlechterung der Landschaftsqualitäten sind. Woher soll Besserung kommen? Wenn Uwe Brandl, Bayerns Gemeindetagspräsident, bereits beklagt, dass sich "die Politik bisher nahezu ausschließlich auf die Ballungsräume und ihre Probleme konzentriert habe" - und die mantrahaften aktuellen Bekundungen von Politikern nach mehr Wohnungsbau in den Städten bestätigen ihn. Und natürlich kommt postwendend die Antwort vom Städtetag. Dessen Geschäftsführer Buckenhofer beklagt nach dem Bericht der Enquete-Kommission "Gleichwertige Lebensbedingungen in ganz Bayern" das glatte Gegenteil.

3. Und was verkündet der designierte Ministerpräsident im Unternehmermagazin der vbw vom Januar 2018: "Wir brauchen Entlastung und qualitatives Wachstum in den Ballungsräumen, um Wohnungsbau und Lebensqualität synchron zu entwickeln. Im ländlichen Raum hingegen müssen wir weiter Vollgas geben. Denn eines will ich nicht: Überhitzte Mega-Cities, die von einem vernachlässigten ländlichen Raum umgeben sind." Na ja, möchte man an dieser Stelle sagen: Eine Megacity ist München ja noch nicht, aber überhitzt ist sie und m.E. längst total überfordert. Und von einem vernachlässigten ländlichen Raum ist sie natürlich nicht umgeben, sofern man überhaupt noch von einem wirklich ländlichen Raum reden kann ausgenommen die peripheren Teile des Umlandes (siehe Strukturkarte des LEP). Überfordert ist offen-sichtlich auch die Rathauspolitik in München, denn wie anders soll man die Aussagen führender Stadtpolitiker verstehen, wonach man nichts tun könne gegen weiteren Zuzug, im Grunde auch nichts gegen hemmungslose Gentrifizierung, gegen menschenfeindliche Innenverdichtung und die Reduzierung innerörtlicher Grün- und Frischluftschneisen etc. Das Gegenteil ist ja sogar der Fall: Man tut bewusst etwas für den Zuzug in den überhitzten Ballungsraum, indem man z.B. bei der Expo Real intensivst für den Standort München wirbt und die ländlichen Mitbewerber aus Nordbayern oder Restdeutschland "ins Ofenrohr schauen lässt". Gut gemeint vielleicht, aber verheerend in der Wirkung ist auch der ständige Hinweis des regionalen Planungsverbands, dass leicht noch Platz für 300.000 Menschen im Ballungsraum sei. Man müsse halt nur das Baulandpotential konsequent aufspüren und mobilisieren. Und wenn Einwohner dagegen rebellieren, sollen sie, die Egoisten, sich nicht so haben, alle seien schließlich einmal als Zuzügler gekommen. Verheerend halte ich diesbezüglich auch die ständige, unreflektierte Wiedergabe der Zahlen des statistischen Landesamts, das wohl aufgrund einer Extrapolation einen weiteren Zuzug von 300.000 EW meldet. Ja, mag schon sein, wenn man nicht gegensteuert!!!!!!!!! Und wenn man nicht gegensteuern will!! In China gibt es erste Städte, denen ein Wachstumsstopp verordnet wurde! In München herrscht das glatte Gegenteil: man jammert etwas über den Druck und beginnt ein Hase-und-Igel-Spiel. Und angesichts dieser, fast möchte ich sagen, gewollten Zuzugspolitik helfen als Entlastung die paar tausend Arbeitsplätze wenig, die im Zuge der staatlichen Behördenverlagerung München verloren gingen und noch gehen. Und München wie auch dem immer mehr überforderten Münchner Umland werden bzgl. Pendelei die wenigen Behörden-Satelliten, die nun Heimatminister Söder angekündigt hat, nicht allzu viel bringen außer Symbolwirkung.
Dem neuen Mantra "Wohnungen, Wohnungen, Wohnungen in Stadt und Umland bauen" erliegen nun alle, voran die SPD-Landesvorsitzende und ihr Münchner Parteigenosse - leider auch der Bayer. Innenminister. Es wird nicht viel helfen, denn es ist ein Hase-und-Igel-Spiel. Je mehr Wohnungen gebaut werden, desto mehr Menschen kommen nach, desto mehr fühlen sich auch Unternehmen ermuntert, sich in München anzusiedeln und neue Arbeitsplätze anzubieten mit der Folge, dass die zuziehenden neuen Mitarbeiter mit ihren Familien Wohnungen, Bildungseinrichtungen und Infrastruktur brauchen.
Dafür ist ja aus Sicht der Wirtschaft die Politik, sind nicht die Unternehmen zuständig.
Und was ist die Folge? Die Lebensqualität in der Stadt sinkt und sinkt. Und weil es knapp wird mit dem Bauland, werden in einer selten rigorosen Vorgangsweise früher hochgehaltene und zur Münchner Identität gehörige Stadtbauern und Landwirtschaftsflächen geopfert. Haben wir vergessen, warum es das Oktoberfest gibt? Warum rennen alle ‚country look'- oder original Trachten-mäßig gekleidet dahin? Weil es eine Sehnsucht nach dem Ländlich-bäuerlichen gibt!! Und wo es das noch im Original gibt, wird diese städtische Landwirtschaft ausgemerzt: Feldmoching und Daglfing sind ein trauriges Beispiel dafür, wie geschichts- und kulturvergessen Entwicklungsplanung ab-laufen kann, wenn das Mantra Wohnungsbau, Wohnungsbau und dahinterstehende Investoreninteressen alle Gehirne besetzt. Wer täglich durch München radelt, erschrickt über die Großbaustelle München, ist entsetzt, wie sich z.B. der Charakter des wunderschönen Bogenhausen oder selbst der bisher ländlichen Vororte Denning oder Englschalking im Zuge der Nutzung bestehenden Baurechts nachteilig verändert und verdichtet. Ich sehe nirgends nennenswert neue Wohnungen für Normalfamilien oder gar schwächere Mitglieder unserer Gesellschaft, sondern nur Millionen-teure, höchst uniforme und langweilige Flachdach-Eigentumswohnungen/ -häuser bzw. Büros! So gesehen kann ich die kürzlich vorgebrachte Kritik des CSU-FV im Münchner Stadtrat verstehen - aber er ist ja längst zurückgerudert. Die auf neuem Bauland oder im Zuge von Verdichtungen erfolgende Wohnungspolitik in München müsste sich Prioritäten setzen, z.B. bezüglich Förderung des Wohnungsbaus nur für dringend benötigte wichtige Berufe, für junge Familien oder Förderung von Gewerbeflächen für Schaffung von hochqualifizierten Arbeitsplätze und nicht für Möbelhäuser etc..

4. Wir brauchen dringend neue Wohnungen, aber nicht nur oder prioritär im Großraum München, sondern auch in den ländlichen Räumen, speziell für die Jugend und junge Familien (siehe EK Bericht). Hätten sie beispielsweise gedacht, dass es im ländlichen Raum kaum Mietwohnungen gibt? Und wir brauchen vor allem Arbeitsplätze - in München nicht um jeden Preis, aber sehr stark in den ländlichen Räumen. Räumliche Gerechtigkeit heißt für mich, dass München nicht alles bekommen muss, sondern abgeben soll - zuerst natürlich an andere Landesteile Bayerns, dann auch an die ländlichen Regionen innerhalb der Metropolregion München, also z.B. bis hoch ins Nördlinger Ries oder in einzelne Regionen des Oberlands, aber nur da, wo es fehlt. Warum brauchen wir 15.000 neue BMW-Arbeitsplätze in München? Da erschrickt man ja über die Konsequenzen für Wohnungs- und Infrastrukturbau inkl. neuer Schulen und ÖPNV-Strukturen. Ich habe von der Stadtspitze niemanden gehört, der diese Sorgen geäußert hat - außer natürlich die Bürger im nahen Feldmoching, die sich mit den enteignungsbedrohten Bauern solidarisieren und protestieren. Angst bezüglich der Konsequenzen für Wohnungsbau, soziale und Bildungsinfrastruktur sowie Verkehr muss man ja auch vor den prognostizierten zehntausend oder mehr neuen Arbeitsplätzen haben, die angeblich die dritte Startbahn bringen soll. Meine Frage ist:Wen will Flughafenchef Kerkloh eigentlich mit solchen Zahlen noch ködern? Er schreckt ja eher ab damit.

Ist das Umland ein Gefangener der Stadt München oder noch frei?

Für mich stellt sich die Frage: Können sich die Politiker und Menschen in München und seinem Umland noch ein selbstbestimmtes und -gestaltetes Leben, Wohnen und Verkehr vorstellen und leisten, oder sind sie längst passiv gefangen und nur noch im Reaktionsmodus auf das immer undurchdringlichere Geflecht von Investoren-, Dax- und Geldanleger-Interessen, die den großen Druck auf München ausüben. Sprich: Gefangener der viel zitierten Push-Faktoren! Die verheerende Null-Zins-Politik der EZB mag hier noch verstärkend wirken ebenso wie die gestiegene Geburtenrate und Zuwanderung von Menschen aus Kriegsgebieten. Müssen wir uns also mit der Vorstellung und Aussicht befassen, dass, wie ich es in der 40-Jahr-Jubiläumsausgabe der SZ im Vorjahr gesagt habe, es als ‚worst case' in 2050 höchstwahrscheinlich keine oder nur noch ganz wenige ländlichen Räume, keine freien Landschaften und keine Bauern mehr geben wird zwischen München und Dachau? Stattdessen ein Stadt-Stadt- und nicht ein Stadt-Land-Kontinuum, womöglich gar mit Hochhäusern und viel Gewerbegebieten durchsetzt und mit viel mehr Verkehr und Lärm, wie es halt zur neuen Urbanität gehört (so Bauministerin Hendricks bei der Einführung des "urbanen Gebiets" im Baugesetzbuch). Ein Stadt-Stadt-Kontinuum, das natürlich eingesprenkelt künstlich gestaltete Landschaftsparks hat, wie das z.Z. in Freiham geschieht und wie das zur Beruhigung der Menschen für Daglfing und Feldmoching versprochen wird.

Die Bürger des Landkreises Dachau wollten es ja ganz anders: Wenn ich die Ergebnisse des Landkreisgutachtens "Dahoam zwischen Land und Metropole" anschaue, war von maßvollem Bevölkerungswachstum und interkommunal abgestimmter Siedlungsentwicklung und gemeinsamen Gewerbegebieten die Rede und vor allem vom Schutz der attraktiven Natur-, Fluss- und Kulturlandschaften. Das wurde gewünscht und beschlossen, wohl wissend, dass alle Landkreise im Ballungsraum München unter erheblichem Druck der Stadt München stehen - im letzten Jahr sind wiederum 25.000 Menschen ins Umland ausgezogen; hinzu kommen Zuzügler aus anderen Regionen( die Zahlen sind ja ständig in den Zeitungen nachzulesen)-und mehr Bauflächen ausweisen. Und dies ge-schieht meist zu Lasten der freien Landschaften! Innenentwicklung ist erst am Anfang. Die Nullflächenbilanz und der von meinem Lehrstuhl vor Jahren dem Umweltministerium vorgeschlagene obligatorische Nachhaltigkeits-Check wäre ein schöner Anreiz für eine neue Gemeindeflächenpolitik! Und die Regionalplanung sollte/könnte endlich ihren Gestaltungsauftrag wahrnehmen und z.B. Standorte für wirklich notwendige, möglichst gemeinsame neue Gewerbegebiete transparent und partizipativ auswählen und vorschlagen. Exakt das geschieht landesweit in den Integrierten Ländlichen Entwicklungsprozessen, deren Zuständigkeit nun doch bei Julia Klöckner bleibt, obwohl Horst Seehofer sie gerne bekommen hätte.

Was nun zu tun ist!

Die vielen Proteste und Leserbriefe sowie die aktuellen Diskussionen in der Politik um Heimat, Gleichwertigkeit und Lebensqualität sind ein günstiger Moment, dranzubleiben am Thema und nach neuen Wegen zu suchen und diese energisch zu fordern. Vieles ist plötzlich möglich, wenn die Bevölkerung umdenkt und der Politiker darauf reagieren muss (Bsp.: plötzlich ist die dritte Startbahn in einem neuen Kontext zu überdenken?!).

1. Vor diesem Hintergrund müssen wir endlich folgende Fragen diskutieren und beantworten: 1. Wie kommen wir zu der von Minister Söder angekündigten Entschleunigung und Entlastung des Münchner Raumes? Was muss der Staat (z.B. die Landesentwicklung und Regionalplanung) tun, was die Städte, Landkreise und Gemeinden? Im neuen LEP steht dazu leider nichts! Was trägt das zuständige das Heimatministerium bei?

2. Wollen Stadt München und Landkreise wirklich eine Entlastung (ich habe da Zweifel) oder nur mehr besser dotierte Förderung des Wohnungs- und Infrastrukturausbaus? München ist jetzt schon die am dichtesten besiedelte Stadt Deutschlands mit dem geringsten öffentlichen Grünflächenanteil! Und nun verschwindet massiv infolge der Innenverdichtung auch der private Grünflächenanteil. Der Stadtentwicklungsplan von München wird seit den späten 90er Jahren um immer neue Themenbereiche fortgeschrieben. Inzwischen gibt es das schöne Leitmotiv "Stadt im Gleichgewicht" mit acht Kernaussagen und 16 Leitlinien, bald 17. Es wird alles gesagt, aber nichts zu Fragen der Grenzen des Wachstums. Dafür aber zu den Grenzen des globalen Ökosystems! Warum stellt sich München nicht dieser Frage des begrenzten Wachstums? Wir alle wissen doch, dass es kein grenzenloses Wachstum geben kann. Letzten Freitag hat CSU-Vize Manfred Weber aufhorchen lassen, als er im Bayer. Rundfunk vor einer negativen Entwicklung in der so viel gerühmten Boom-Region Nieder-bayern gewarnt hat, das mit seinen maßlosen Flächenverbrauchsorgien entlang der Autobahn nach Deggendorf (Stichwort Logistikkübel) oder im BMW-dominierten Mallersdorf etc. traurig berühmt geworden ist. Hier stimmt der Satz "Versiegelt und verschandelt". Man mag gar nicht mehr hinsehen. Meinhard Prill hat uns allen mit seinem Fernsehfilm

"Bayern.Boden und Beton" die Augen geöffnet. Niemand kann sich mehr entschuldigen. Selbst Erwin Huber räumt ein, dass ihm der Anblick dieser Ungetüme in der freien Landschaft längst weh tut. Das passiert aber nicht nur in Niederbayern.

Was hat der nachdenkliche Manfred Weber denn nun konkret gesagt, und warum erwähne ich ihn? Es ist schon fast revolutionär für einen CSU-ler: "Jetzt stoße man an Grenzen, ein ‚Immer mehr' kann auch eine negative Entwicklung auslösen. Wir brauchen keine neuen Arbeitsplätze um jeden Preis, wir brauchen Qualität und nicht Quantität." So der Spitzenpolitiker Manfred Weber. Aus München und in München habe ich bisher solche Sätze weder aus Politiker- noch aus Unternehmermund gehört! Wird im Umland nach Qualität der Arbeitsplätze unterschieden?

3. Was meint Söder, was Weber konkret mit Qualität, mit qualitativem Wachstum? Ist das vergleichbar mit organischem, ist qualitativ gleich nachhaltig? Kann man im Großraum München daraus eine Standort- und vor allem eine gesteuerte/ kontrollierte Zuzugspolitik machen. Wir brauchen Kriterien!

4. Wieso kann sich die Stadtspitze von München keine Begrenzung des Zuzugs vorstellen? Sind die relevanten (bau)rechtlichen Möglichkeiten jemals diskutiert worden? Wir brauchen endlich eine Runde von Experten,die das bisher Un-denkbare denkt.

5. Wie will die Politik mit den zunehmenden Protesten der Bürger (die ja keine Egoisten sind) gegen Heimatzerstörung, auch gegen zunehmende Hochhäuser umgehen? Parteinahme für zukünftige, noch gar nicht anwesende Neubürger erscheint mir nicht besonders klug, die jetzigen Bürger wählen die Politiker. Es ist ja interessant, dass wie vorerwähnt die so vordringlich erklärte Entscheidung über die dritte Startbahn plötzlich nicht mehr eilig ist, und die versprochenen 10 - 15.000 neuen Ar-beitsplätze zählen auch nicht mehr. Es ist die Angst vor den Bürgern.

6. Landespolitisch muss es trotz gebotener Fürsorge um Ballungsräume um die Stärkung der ländlichen Räume als Alternative zum Leben, Arbeiten und Wohnen in der Stadt geben. D.h. wir müssen die dezentralen und polyzentralen Siedlungsstrukturen in Bayern stärken und dorthin, vor allem in die Mittel- und Kleinstädte, Arbeitsplätze bringen. Eine Riesenaufgabe, die sich z.Z. auch China vornimmt. Söders Nachfolger oder gar er selbst muss sich endlich die großen Unternehmen vornehmen: Das Beispiel des schnellen Drehers von Siemenschef Joe Kaeser in Görlitz zeigt, wie ein Unternehmen gezwungen werden kann, sich für den räumlichen Standort und die Region in ihrer Gesamtheit zu interessieren und nicht nur für den Aktienkurs.

Die vielen Slums oder Favelas in den Städten der Entwicklungsländer sind die Folge einer verfehlten oder gar nicht existierenden Ländlichen-Raum-Politik. Soweit sind wir natürlich noch nicht in Bayern, aber Ähnlichkeiten gibt es, wenn man dort von Slum-Upgrading redet, anstatt echte ländliche Raumpolitik zu machen, und wir hier uns möglicherweise vorrangig mit den Problemen in den Städten beschäftigen, die ja die Folge des Zuzugs in die Stadt als Konsequenz fehlender Arbeitsplätze und Lebenschancen im ländlichen Raum sind.

7. Im EK-Bericht haben wir vieles aufgelistet, was zu tun ist. Es wäre falsch, den üblichen politischen Reflexen folgend von Regierungsseite alles zu verharmlosen und für gut zu erklären und umgekehrt aus Oppositionsseite alles als schlecht darzustellen. Der Bericht wäre es wert, auch am Petersberg vorurteilsfrei diskutiert zu werden.

München leuchtet ?

Münchens Stadtplaner begingen bis heute in einer Sonderausstellung und Veranstaltungsreihe zum Thema "München weiter denken" 125 Jahre Stadtentwicklung.Es wäre für mich interessant(er) gewesen , hätten sich die Macher nicht nur recht konventionell mit "weiter" im räumlichen und inhaltlichen Sinne beschäftigt ,sondern auch mit mutigen Alternativen im Sinne von quer und ganz anders denken. Wir müssen nämlich endlich zu einer neuen Denke kommen, die überdies durch Digitalisierung, neue Mobilitätsangebote etc. gefördert werden könnte. Ansonsten befürchte ich, dass sich München und das Umland unter der derzeitigen Stadt- und Regionalpolitik äußerst nachteilig verändern werden .

Und wie heißt diese neue Denke?

1.Einsehen,dass München und sein Umland nicht attraktiver werden, indem sie den Megacities der Welt nacheifern. Der Ballungsraum soll sich bescheiden und bewusst ein qualitatives und gesteuertes Wachstum anstreben und praktizieren. Stadtentwicklung und Regionalplanung müssen sich diesbezüglich neu ausrichten!

2. Wir müssen dafür werben und Aktionen wie jene von Wunsiedel in der Münchner Fussgängerzone unterstützen, dass man nicht unbedingt im Großraum München leben und arbeiten muss. Es ist auch in anderen Landesteilen Bayerns wunderschön (und viel billiger), wenn es gemeinsam gelingt dort für gleichwertige Lebens-und Arbeitsbedingungen zu sorgen. Das erfordert vom Münchner Grossraum Bereitschaft und Solidarität , an das Ganze zu denken.

Wo wenn nicht hier am Petersberg wären solche Botschaften besser platziert ?!


Wachstums-Stopp für München

Freiham wird zugebaut, Feldmoching soll folgen. Die A93 Richtung Landshut: ein Brei aus Gewerbehallen. Einem Münchner Professor geht das alles viel zu weit: Er fordert einen rigorosen Ausbau-Stopp für den Großraum München.

MAHNRUF EINES PROFESSORS
von Dirk Walter, Münchner Merkur vom 10.3.2018, Bayernteil

München - Flächenfraß, Wachstumsgrenzen, eine Metropole vor dem Kollaps - die Schattenseiten des Booms im Großraum München sind in vieler Munde. Holger Magel, Präsident der Bayerischen Akademie Ländlicher Raum, schlägt jetzt drastische Gegenmaßnahmen vor: einen Wachstums-Stopp für München. "Wieso kann sich die Stadtspitze von München keine Begrenzung des Zuzugs vorstellen?", fragt er ketzerisch. Und: Es sei wichtig, dass endlich jemand "das bisher Undenkbare denkt".

Magel war Mitglied der Enquetekommission "Gleichwertige Lebensbedingungen in ganz Bayern", die erst Ende Januar in ihrem Abschlussbericht die Stärkung des ländlichen Raums angemahnt hat. Nun hat er in einem Vortrag vor der katholischen Landvolkshochschule Petersberg bei Erdweg (Kreis Dachau) diesen Faden speziell für den Großraum München aufgenommen. Dabei scheut er sich nicht, gewohnte Dogmen infrage zu stellen. Zum Beispiel die Wohnungsproblematik.


Prof. Dr. Holger Magel
Dem neuen Mantra ,Wohnungen, Wohnungen, Wohnungen in Stadt und Umland
bauen' erliegen nun alle, voran die SPD-Landesvorsitzende und ihr Münchner Parteigenosse (Gemeint ist OB Dieter Reiter - Anm. d. Red.) - leider auch der bayerische Innenminister." Das sei "ein Hase-und-Igel-Spiel", so Magel: "Je mehr Wohnungen gebaut werden, desto mehr Menschen kommen nach." Und weil das Bauland knapp werde, "werden in einer selten rigorosen Vorgehensweise früher hochgehaltene und zur Münchner Identität gehörige Stadtbauern und Landwirtschaftsflächen geopfert". Magel nennt namentlich Feldmoching, wo durch eine bisher einmalige "Städtebauliche Entwicklungsmaßnahme" - kurz SEM - Bodenpreise eingefroren wurden und mehrere hundert Hektar mit dem üblichen Mix aus Wohnen und Gewerbe bebaut werden sollen. Der Landwirtschaft wird die Grundlage entzogen. "Feldmoching und Daglfing sind traurige Beispiele dafür, wie geschichts- und kulturvergessen Entwicklungsplanung ablaufen kann", kritisiert Magel. Es könnte sein, warnt der Raumplaner, dass in 30 Jahren München und das Umland zu einem "Stadt-Stadt-Kontinuum" zusammengewachsen seien. Als Negativbeispiel erwähnt Magel die "maßlose Flächenverbrauchsorgie" entlang der Deggendorfer Autobahn A93 mit etlichen Logistikhallen sowie die Bebauung von Freiham (bei Germering). Dort würden nur noch "künstlich gestaltete Landschaftsparks" den Mix aus Gewerbe und Hochhäusern etwas auflockern.

Das sei etwas, was die Bürger definitiv nicht wünschten, wie zum Beispiel das Dachauer Landkreisgutachten "DAHoam zwischen Land und Metropole" zeige. Dort sei die Rede von maßvollem Bevölkerungswachstum, interkommunal abgestimmter Siedlungsentwicklung, gemeinsamen Gewerbegebieten und vor allem dem Schutz von Natur- und Flusslandschaften - alles Forderungen, die bei Bürgermeistern eher unwillig registriert, geschweige denn umgesetzt würden. Im Zweifel zähle doch eher "das Schielen nach Gewerbesteuereinnahmen".

Für die Zukunft plädiert Magel dringend für einen Stopp. München dürfe zum Beispiel nicht mehr auf der Expo Real intensiv für den Standort München werben. Im Gegenteil: München müsse "abgeben" - an andere Landesteile, aber auch an die Peripherie der Metropolregion, ans Nördlinger Ries etwa oder auch ans Oberland. "Warum brauchen wir 15 000 neue BMW-Arbeitsplätze in München?", fragt Magel. Daher seien zum Beispiel auch die angeblich zehntausend oder mehr neuen Arbeitsplätze, die die dritte Startbahn bringe, eher eine Bedrohung. "Meine Frage ist: Wen will Flughafenchef Kerkloh eigentlich mit solchen Zahlen noch ködern? Er schreckt ja eher ab."


Süddeutschen Zeitung, 14.03.2018

Wenn der Siedlungsdruck grenzenlos wird

Holger Magel, Präsident der Bayerischen Akademie Ländlicher Raum, sorgt sich um die Entwicklung in der Boomregion München. Das Land darf nicht zum Wohnraumbeschaffer der Stadt verkommen

Von Benjamin Emonts, Dachau


Prof. Dr. Holger Magel

Der Landkreis Dachau wächst und wächst, und zwar nicht nur seine Bevölkerung. Auch in den ländlichen Regionen werden immer mehr Häuser und Wohnungen auf die noch freien grünen Flächen gesetzt, um dem Siedlungsdruck aus der expandierenden Landeshauptstadt München nachzugeben.

Bei der zweiten Runde der 33. Arnbacher Gespräche der Katholischen Landvolkbewegung (KLB) Dachau äußerte der Präsident der Bayerischen Akademie Ländlicher Raum, Holger Magel, seine Gedanken über die Folgen des grenzenlosen Wachstums. Er beschäftigte sich mit der existenziellen Frage, ob der ländliche Raum in der Boomregion München bereits vom Aussterben bedroht ist.

Magels Vortrag verfolgten zahlreiche Zuhörer am Petersberg in der Gemeinde Erdweg, auf dem sich eine mehr als 1000 Jahre alte romanische Basilika befindet. Hier oben auf dem Petersberg ist die Luft noch frisch. Ein gesund aussehender Wald bedeckt den Hügel, der für viele im Landkreis ein spiritueller Ort ist. Magel sprach nun allerdings über seine Sorge, dass immer mehr dieser freien Flächen verschwinden wegen des massiven Zuzugs in der Boomregion. "Das Umland als Wohnraumbeschaffer für die expandierende Landeshauptstadt", so formuliert es Magel.

Als Mitglied der Enquetekommission "Gleichwertige Lebensbedingungen in ganz Bayern" zeigte er zunächst die rasanten Entwicklungen der Lebensräume und den damit verbundenen Flächenverbrauch und die Flächenversiegelung auf. Wegen des ungebremsten Wachstums von München steige der Siedlungsdruck auf das Umland enorm. Magel gibt zu bedenken, dass neben einer Innenstadtverdichtung immer öfter landwirtschaftliche Flächen bebaut würden, die als Frischluftschneisen zwischen Stadt und Land bislang bewusst von einer Bebauung frei gehalten wurden. Er ist gegen diese Praxis. Damit gehe wertvolle Natur- und Kulturlandschaft verloren.

Es sei abzuwägen zwischen Wachstum, das als Voraussetzung des Wohlstands gelte, und der Sorge um den Erhalt lebenswerter Räume. Aufgrund zunehmender Digitalisierung könnten Firmen auch außerhalb der Boomregion sinnvollerweise für Arbeitsplätze sorgen. Es sei nicht notwendig in "Schwarmstädten" alles zu konzentrieren, sondern vielmehr die Peripherie zu stärken um dort attraktive Räume zu schaffen, die Arbeiten und bezahlbares Wohnen am Ort vereinten.

Negative Auswirkungen der boomenden Landeshauptstadt auf das Umland seien rasant steigende Immobilien- und Wohnungspreise. Sofern kein Umdenken statt- finde, sei nicht ausgeschlossen, dass in 30 Jahren das Umland mit der Landeshauptstadt zu einem großen Regionalverband zusammenwachsen würde - und dauerhaft wertvolle landwirtschaftliche Flächen und Erholungsgebiete verloren gingen. Man müsse einsehen, dass München und sein Umland nicht attraktiver würden, indem man den Megacities der Welt nacheifere, sagte Magel. Der Ballungsraum müsse bewusst ein bescheidenes qualitatives und gesteuertes Wachstum anstreben und praktizieren.

Für eine maßvolle Entwicklung sei auch unser Wohlstands- und Wirtschaftsmodell auf den Prüfstand zu stellen, denn ein grenzenloses Wachstum könne es schon allein wegen begrenzter Ressourcen nicht geben. "Die Sorge um die Entwicklung der Lebensräume ist Angelegenheit aller", sagte Magel. Er weist auf die explodierenden e Grundstückspreise hin, die es den Familien fast unmöglich machten, Eigentum zu erwerben. Verkehrswege, Kinderbetreuungseinrichtungen, Schulen seien bereits ausgelastet. "Zur Erhaltung eines lebenswerten Umfeldes ist es wichtig, sich allerorts bei politischen Prozessen einzubringen", appellierte der Experte.


Bilder: Alfred Bayer

Ankündigung der Arnbacher Gespräche 2018 in der Presse
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