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Diskussionsrunde im Pfarrheim Röhrmoos
Darf der Mensch alles, was er kann?
Ethik und Moral in der Medizin
Referent Dr.Anton Schuster, Lehrstuhl für Moraltheologie an der Universität München
12.November 1998

Die medizinische Wissenschaft überschreitet immer schneller neue Grenzen, so z.B. in der Fortpflanzungsmedizin, in der Transplantation und in der Humangenetik. Manches ist noch theoretische Utopie, so z.B. daß Menschen durch Manipulation des Erbguts künstlich bestimmte Eigenschaften erhalten und durch Klonen vervielfältigt werden können. Aber die Frage und die Angst werden daran deutlich: Darf der Mensch alles, was er kann? Oder überschreitet er Grenzen, wie der Referent formulierte, die der Verfügungsgewalt Gottes unterliegen? Wenn man den biblischen Schöpfungsbericht richtig verstehe, dann habe der Mensch einen mitschöpferischen Auftrag: er soll die Erde nicht ausbeuten, sondern die Schöpfung weitertragen, das Leben fürsorglich fördern. Für die Humanmedizin bedeute das, meinte Schuster, daß der Mensch als Abbild Gottes unverfügbar ist. Daher dürfe es keine willkürlichen medizinischen Eingriffe geben; sie müssen verantwortlich mit dem Leben umgehen und die menschliche Freiheit achten.

Medizinische Experimente dürfen Leben nicht zerstören, betonte Schuster, sondern müssen dem Patienten direkt nützen, nicht nur der allgemeinen Wissenserweiterung. Zwar gebe es keine totalen Tabus, aber die Würde des Menschen setze der Medizin Grenzen. So dürfe die Transplantationsmedizin nicht in eine Kumpanei mit der Abtreibungspraxis geraten. Die Entschlüsselung der menschlichen Gene dürfe nicht genetisch defektes Leben ausgrenzen; niemand könne im Übrigen bestimmen, was noch normal ist. Die Genanalyse habe z.B. ihre Aufgabe, wo therapeuthisch geholfen werden kann oder bei der Strafverfolgung. Nicht aber wo eine allgemeine Gendatei aufgebaut werden soll, um den gläsernen Menschen zu haben

Da die Diagnose den Möglichkeiten zu heilen zunehmend schneller vorauseile, sei natürlich zu fragen, ob nur Krankheits-Wahrscheinlichkeiten offen gelegt werden dürfen, ohne daß man helfen kann, so daß kein unbeschwertes Leben mehr möglich ist. Noch kritischer beurteilte es Schuster, wenn ein Gentest wirtschaftlich verwertet wird, z.B. als Voraussetzung für einen Arbeitsplatz oder für eine Versicherung. Der Gentest würde damit zum Ausscheidungskriterium und diskriminiere Menschen, die Solidargemeinschaft würde damit zerstört.

Mit der vorgeburtlichen genetischen Untersuchung sei regelmäßig die Gefahr verbunden, daß Leben als gut oder weniger gut bewertet wird und schließlich behindertes Leben ausgegrenzt wird. Aber auch behindertes Leben habe volle personale Würde. Die Kirche stimme dieser Untersuchung daher nur zu, wenn Schutz und Sorge für das werdende Leben den Ausschlag geben.
In der Medizin denke man sogar schon an das Klonen von Embryonen, um ihre genetische Gesundheit zu untersuchen, wobei einer der verdoppelten Embryonen zerstört wird. Das verletze werdendes Leben.

Freilich gab Schuster zu, solle die Freiheit der medizinischen Forschung nicht unterbunden werden. Aber sie setze eine umfassende Aufklärung des Menschen voraus, sein Recht auf Wissen oder Nichtwissenwollen, den Antrieb zu heilen oder vorzubeugen.

Die Kirche könne zur Lösung von Konflikten beitragen, sie müsse auf die Gefahren hinweisen, sie müsse sich aber auch, bekräftigte Schuster, nach außen öffnen und mit den Wissenschaften in den Dialog treten.

In der Diskussion wies eine Teilnehmerin auf das verbreitete Anspruchsdenken hin z.B. auch beim Kinderwunsch. Darf man diesem Wunsch nachgeben, wenn Risiken z.B. bei Mehrlingsgeburten nach Hormonbehandlung zu befürchten sind, die die Eltern andererseits überfordern

Schwer allgemein zu beurteilen sei auch, meinte eine andere Teilnehmerin, wenn Frühestgeburten mit enormen medizinischem Aufwand am Leben erhalten werden und meistens eine schwere Behinderung abzusehen ist. Da sei die Natur früher gnädig gewesen, sagte ein Teilnehmer, weil solche Frühestgeburten nicht überlebt haben. Man sehe gerade in der Medizin, daß jeder Fortschritt auch neues Leid bringe.

Schuster betonte auf die Frage eines weiteren Teilnehmers, daß man hier nie fertige Antworten habe und jeder Einzelfall oft ein schwerer Konflikt sei. Die Entwicklung gehe immer weiter und auch Theologie und Ethik müßten ständig neu mit der Antwort ringen, wie weit der Mensch mit seinem Können gehen darf. Manches, was medizinisch als gelungen erscheint, bringe dem Menschen ganzheitlich gesehen neues Leid; doch manches, was als Leid empfunden werden kann, z.B. mit einem transplantierten Organ leben zu müssen, kann Lebensqualität sein, selbst wenn sie eingeschränkt oder nur von kurzer Dauer ist.

Alois Igelspacher