Abraham ist voraus gegangen
Abraham war Leitfigur und Hoffnungsträger im Glauben an Gott
Dr. Alois Igelspacher

Jesus ruft uns dieses Vertrauen auf Gott in Erinnerung. Dachau - Der christliche Glaube hat seine Wurzeln im Alten Testament. Das hat der Münchner Professor für Altes Testament, Manfred Görg, bei einem Diskussionsabend überzeugend dargelegt. Diese Grundurkunde des jüdischen Glaubens enthalte bleibende und gültige Gotteserfahrungen, die durch das neue Testament nicht überholt seien. Neu und aufregend erschließt Görg das Alte Testament wonach dessen messianische Erwartungen und Hoffnungen auf die endgültige Heilszeit eine heute noch gültige Botschaft für Christen sind.


Fresco
Abraham und Melchisedech - Bild am Altar in Biberbach

Zur Zeit des König Hiskijas drohte Gefahr für Israel; sie kam von den Assyrern. Hiskijas verbündete sich mit Ägypten. Der Prophet Jesaja mahnte den König, er solle auf Gott vertrauen, sich in Gott festmachen, sich klammern an Gott mit allen Kräften, das sei die Chance zum Überleben. Ein biblischer Schriftsteller dieser Zeit nahm diese Notsituation zum Anlaß, aufgrund der bisherigen Geschichte Israels zu fragen, wo diese Mahnung Jesajas schon einmal in die Tat umgesetzt worden war. Im Tempel fand er Schriftstücke über die Geschichte Abrahams. Er führte diese Abrahamerzählung weiter, indem er ihn als einen Menschen darstellte, der sich in Gott festmacht.

Schon früher war über Abraham nachgedacht worden, in der frühen Königszeit Israels und zur Zeit der Reichseinteilung. Vor allem Salomo war die Ursache dafür. Denn dieser krönte seine Auslands-beziehungen mit der Heirat einer ägyptischen Prinzessin. Und damit wurde auch der ägyptische Kult von Salomo gepflegt. Ein Glaubensabfall, eine Provokation. Da sammelte der biblische Schriftsteller alles, was im Volk von Abraham, Isaak, Jakob, Sarah, Rebeka und Rachel erzählt wurde.
Er erinnerte an diese alten Erzählungen, wie Frauen die gleiche Würde hatten wie Männer und nicht, wie die ägyptische Prinzessin, z.B. dazu herabgewürdigt wurden, auswärtige Beziehungen abzusichern. Er führte Abraham vor, der im Land umherzieht, keinen Hofstaat hat, sich nicht aufplustert, keinen Tempel baut. So ein Mann wie Abraham ist eine Leitfigur: Gast auf Erden, mit Gott unterwegs. Und so wird die Abrahamerzählung immer wieder neu überformt, so daß er aus der Not der jeweiligen Zeit heraus zum neuen Hoffnungsträger wird.

So auch im 6. Jahrhundert im Exil. Israel fragt sich: Wieso ist das passiert, wie können wir das aushalten? Haben die Könige versagt, haben wir uns zu sicher gefühlt, nicht an Gott geglaubt? Und wieder kommt die Erinnerung zurück auf Abraham. Er war einer der ihren. Der Sage nach kam er aus dem Osten. So hat Israel eine neue Hoffnung aufgebaut: Der ist doch auch von hier weggekommen, so gibt es auch für uns eine Chance. Auch in der Zeit Jesu war Israel unterwegs zu einer Gestalt, die Hoffnungsträger in Not und Bedrängnis war. In diese Messiaserwartung, in diesen Glauben an eine kommende Heilszeit hinein trat Jesus auf. Schon sein Name (Jesus, Josua, Jeschua =Jahwe rettet) war für gläubige Ohren eine Erinnerung an die Heilszeit, nämlich die Landverteilung unter Josua oder die Rückkehr aus dem Exil unter Jeschua. Jesus hat die Sehnsucht der Juden nach Hoffnung und Orientierung aufgenommen, er hat sie wieder an den Glauben Abrahams erinnert. Die Thora war für Jesus Lebenshilfe, frohe Botschaft für ein gelingendes Leben.

Abraham ist eine Gestalt, die mit Israel gewachsen ist nach den Hoffnungen und Nöten der Zeit: Die biblischen Schriftsteller nehmen aus der Erinnerung die Figur des Abraham und formen an ihm eine Leitfigur, die Licht im Dunkel der Zeit ist. Und so weckt auch in uns die Kraft der Erinnerung Leben, das über Ort und Zeit hinwegträgt. Diesem Lebendigwerden kann der physische Tod nichts anhaben. Die Erinnerung an Abraham wie an Jesus ist für uns ein Zeugnis, daß Gott uns auch im Dunkeln in die Heilszeit trägt. Diese Hoffnung auf die Heilszeit ist Juden und Christen gemeinsam.

Dr. Alois Igelspacher