 |
Jahresthema
1999: Der
Starke gewinnt, welche Chancen hat der Schwache?
2.
Treiben und getrieben werden -
Wirtschaftliche und soziale Perspektiven der Zukunft
Referent Max Weinkamm
Landesgeschäftsführer
des Kolpingbildungswerks Bayern und stellv. Vorsitzender des
Landeskomitees der Katholiken in Bayern
|
|
 |
Trotz des stürmischen Schneetreibens
und glatter Fahrbahnen sindam Dienstag,
23.Februar, 19 Teilnehmer zu den Arnbacher Gesprächen
der Katholischen Landvolkbewegung gekommen. Max Weinkamm, Landesgeschäftsführer
des Kolpingbildungswerks Bayern und stellv. Vorsitzender des Landeskomitees
der Katholiken in Bayern, der im Schneetreiben stecken geblieben
war und mit starker Verspätung kam, schockierte mit harten
Fakten zu wirtschaftlichen und sozialen Perspektiven der Zukunft.Die
Aufwendungen für soziale Leistungen sind von 23% auf 34% des
Bruttosozialprodukts gestiegen. Immer mehr davon muß durch
Sozialbeiträge der Arbeitgeber und -nehmer aufgebracht werden,
während die Leistung des Staates sinkt. |
Das führt zu hohen
Unternehmenskosten, einer Überlastung der Arbeitnehmer und damit
auch zur Abwanderung in die Schattenwirtschaft. Und weil die Grenzen
offen sind, wandern Arbeitsplätze in Billiglohnländer ab.
Bei uns aber werden zudem immer mehr Arbeitnehmer wegen enormer Rationalisierung
überflüssig. Die Ausbildungszeiten werden immer länger,
die Leute gehen früher in Rente und leben länger. Und schon
in 30 Jahren fällt auf einen Arbeitnehmer ein Rentner.
Hinzu kommt, daß vieles, was
früher von den Familien aufgefangen wurde, heute von der Allgemeinheit
zu tragen ist, weil das klassische Familienbild auseinanderbricht.
Wie soll unter diesem Druck unser Sozialstaat finanziert werden,
wenn zugleich der Staat hoffnungslos überschuldet ist? |
 |
Ein solches System kann
schon für die nächste Generation nicht mehr halten. Aber die
nächste Generation dürfe nicht an unserem überholten
Sozialsystem kaputtgehen, betonte Weinkamm. Doch kaum einer denkt über
ein neues System nach, das für die nächsten 50 Jahre hält.
Wir müßten wieder mehr die Eigenverantwort-lichkeit und Solidarität
pflegen. In den 70er und 80er Jahren haben wir uns an immer neue Wohltaten
des Staates gewöhnt, aber unsere Wertmaßstäbe bezogen
auf unsere Forderungen an den Staat und den privaten Wohlstand stimmen
nicht mehr.
Diese Rechnungen gehen nicht
mehr auf, vielmehr müssen wir den Sozialstaat umbauen. Dieser Umbau
geht nur in kleinen Schritten, aber man muß jetzt damit anfangen,
damit in 30 Jahren ein stabiles System steht. Ganz besonders trifft
dieser Umbau auch die Leistungen für Familien. Ihre Erziehungsleistung
pro Kind beträgt mehrere hundertausend DM, und davon trägt
die Gemeinschaft höchstens 25%, während diese Kinder einmal
die gesamte Last für alle tragen. Die Familien sind über Jahrzehnte
unerbitterlich benachteiligt worden - sicher eine Ursache des Geburtenrückgangs.
Das Urteil des Bundesverfassungs-gerichts schlägt hier endlich
einen Pflock ein, aber auch er muß finanziert werden.
In der Diskussion kam vor
allem die Angst zum Ausdruck: Immer mehr Rentner, die Industrie braucht
immer weniger Arbeitsplätze, die vertraute Erwerbsarbeit wird sich
auflösen, die unstabilen Arbeits-verhältnisse nehmen zu, die
Wiederherstellung der Vollbeschäftigung ist eine Illusion, die
sozialen Sicherungssysteme überfordern uns: Wo bleibe ich, wo bleiben
unsere Kinder? Weinkamm betonte, daß wir ein Gesamtkonzept für
eine sozial verträgliche Marktwirtschaft brauchen, in das Bürger
und Unternehmer eingebunden sind. Wir werden als Volkswirtschaft immer
reicher, aber das Kapital ist ungleich verteilt. Weil die Wirtschaft
immer kapitalintensiver wird, brauchen wir einen Zugang zum Kapital
für möglichst alle. Dazu gehört z. B. weniger Umlagen
für die gesetzliche Altersversorgung und das Geld selbst anlegen,
weil die staatliche Rentenversicherung wirtschaftlich kein gutes Ergebnis
bringt, oder z.B. ein Investivlohn der Unternehmen, oder z. B. Selbstbeteiligung
bei der Krankenversicherung bei gleichzeitig niedrigeren Beiträgen.
Wir müssen aber auch
zu einer neuen Wertschätzung derer kommen, die keine Arbeit finden.
Arbeit ist nicht nur die gewinnorientierte Erwerbsarbeit, sondern auch
das Engagement für die Gemeinschaft. Auch ein Ehrenamt (z. B. Bürgerarbeit,
Mütterarbeit) muß soziale Sicherheit geben. Die griffige
Darstellung von Weinkamm forderte zur Diskussion heraus; es hat sich
aber auch gezeigt, daß diese Diskussion auf breiter Basis vorangehen
muß, denn unsere herkömmlichen Rezepte sind überholt.
Nur wenn sich dazu eine breite Meinung bildet, wird auch die Politik
den Schwung zum Handeln finden. Vor diesen Problemen dürfen sich
die Christen nicht in die Innerlichkeit zurückziehen.
Bericht: Alois Igelspacher

|