Arnbacher Gespräche Übersicht                   Arnbacher Gespräche 2015

Jahresthema 2015: Heimat und Globalisierung
2. Gespräch: Gemeinschaftsgeist - Sprache und Heimat
Gerald Huber, Journalist und Sprachwissenschaftler, München

Donnerstag, 5. Februar 2015


Interview mit Gerald Huber in der SZ v. 5.Febr.2015

Die Bayern haben das Hochdeutsch erfunden
Der Dialektforscher Gerald Huber gibt einen Ausblick auf seinen Vortrag
bei den Arnbacher Gesprächen

Dachau - Sprache als Geist der Gemeinschaft - so ließe sich das Thema beschreiben, das sich Gerald Huber für den zweiten Teil der Arnbacher Gespräche am Donnerstag, 5.Februar, vorgenommen hat. Der BR-Redakteur und Historiker beschäftigt sich seit vielen Jahren mit den Eigenheiten der bairischen Sprache. Im Bayerischen Rundfunk betreut er seit sieben Jahren die Sendung "Zeit für Bayern". Er hat mehrere Bücher veröffentlicht, zuletzt "Hubers Bairische Wortkunde. Wissen woher die Wörter kommen". Im Interview spricht er über Schriftsprache, Kompromisssprache und den Mut zum Dialekt.


Der BR-Moderator Gerald Huber, geboren 1962 in Landshut, erhielt für seine Publikationen und Forschungen die Tassilo-Medaille des Fördervereins Bairische Sprache und Dialekte und ist Mitglied der Münchner Turmschreiber
SZ: Gehört die Sprache zur Heimat ?
Gerald Huber: Ja, die Sprache ist eine Heimat, die ich überall mitnehmen kann. Eine Sprache, die ich nur für mich allein benutze, ist keine. Ich muss in dieser Sprache mit jemandem reden könne, dann ist sie Heimat. Die Gemeinschaft ist ganz wichtig. Wenn ich die Gemeinschaft verliere und der letzte bin, der meine Sprache spricht, dann hätte ich auch keine Heimat mehr. Und ich gehe meiner Heimat verlustig, wenn ich aufhöre, meine Sprache zu sprechen.

SZ: Glauben Sie, dass der Dialekt verschwindet ?
Das ist in Bayern schon spürbar. Bayern generiert seine wirtschaftliche Leistung unter anderem durch den Zuzug. Ohne diesen wären wir wirtschaftlich bei weitem nicht so stark wie wir es sind. Der Zuzug kommt aber aus nicht bavarophonen Ländern. Und die Zuzügler erweisen sich allmählich als übermächtig gegenüber der einheimischen Kultur. Während es nach dem Krieg noch gelungen ist, Hunderttausende Flüchtlinge kulturell zu assimilieren, gelingt das heute nicht mehr. Deshalb findet man in München kaum mehr Jugendliche, die bairisch reden. Und in den anderen bayerischen Städten im Süden auch nicht. Auf dem Land schaut es ein bisschen anders aus. Als ich groß wurde, war es selbstverständlich, dass man bairisch geredet hat. Da gab es schon Zuzügler, aber die waren noch in der Minderheit. Die mussten dann bairisch lernen, heute ist es umgekehrt. Dadurch geht Heimat der Bayern verloren.

SZ: Gibt es Momente, in denen Sie das spüren ?
Es ist schon vorgekommen, dass ich in München, in meiner Stadt, in meiner Heimat, in meiner Sprache gesagt habe: "Ich hätt gern ein Scherzl vom Leberkäs für mei Leberkässemmel" und bin nicht verstanden worden. Und wenn's dann in so einem Fall heißt: "Sie müssen schon deutsch reden", dann seh'ich das gar nicht ein.

SZ: Was hat der Verlust von Heimat zur Folge ?
Wir verlieren auch Bindungen. Das geht einher mit einer gewissen inneren Leere, Aussichtslosigkeit, Angst sogar. Es gibt nirgendwo soviel Angst wie in den westlichen Gesellschaften und so häufig das Gefühl, dass alles keinen Sinn hat.

SZ: Trotzdem müssen wir uns in einer durchmischteren Gesellschaft irgendwie verständigen können.
Man kann das lösen,in dem man reines Normdeutsch spricht, also Schriftsprache. Aber das ist eine Kunstsprache, keine gesprochene, natürlich gewachsene Sprache. Sie geht auf Luther zurück, ihre Regeln werden immer wieder neu fest geschrieben. Die Deutschen haben eben eine Sehnsucht nach der Einheitlichkeit, der Norm, aber sie verlieren dabei eine ganze Menge Kultur. Kultur ist vielfältig, Norm ist einfältig.

SZ: Könnte man den Dialekt bewahren,in dem man ihn verschriftlicht ?
Mein Credo ist: Sprache kommt vom Sprechen und nicht vom Schreiben. Kein Großer unserer Literatur von Luther bis Goethe ist auf die Idee gekommen, nach der Schreibe zu sprechen. Ein Schriftbairisch wäre immer ein Kompromiss. So wie auch die deutsche Schriftsprache ein Kompromiss für alle Dialekte ist. Das "ei" zum Beispiel geht auf ein langes "i" zurück und das "ai" auf ein "ei". Man sagt in Bayern halt nicht oans zwoa droa und das hat seinen logischen Grund. Früher sagte man ains, zwai, dri. Und alles, was mit "ai" geschrieben wird, war dieses alte "ei" und hoaßt auf bairisch "oa". Um solche Eigenheiten zu bewahren, sollte man also lieber das eingeführte Schriftdeutsch benutzen und darauf achten, einheimische Wörter zu verwenden. Also Bub schreiben, statt Junge.

SZ: Das heißt, das Bairische hat die Schriftsprache sehr beeinflusst ?
Wir sind ja hochdeutsch, wir haben es ja erfunden. Warum heißt es hochdeutsch ? Weil wir das Hochland sind. Und die norddeutsche Tiefebene ist das Tiefland, dort wird niederdeutsch gesprochen. Das hat nichts mit einer Wertung zu tun, das ist die Sprache des Niederlands und die Sprache des Oberlands. Und im Oberland ist das Hochdeutsch entstanden.

SZ: Das heißt, wir sprechen eigentlich alle bairisch ?
Eben nicht. Das, was im Norden gesprochen wird, gilt heute als das reinste Deutsch. In diesem Bewusstsein setzt es sich durch. Dabei haben zunächst die Niederdeutschen, weil sie als Protestanten die Lutherbibel lesen wollten und weil der Handel mit den Süddeutschen zugenommen hatte, ihre niederdeutsche Sprache gegen die hochdeutsche eingetauscht. Heute sprechen sie hochdeutsch mit niederdeutschem Akzent. Daher die harten Konsonanten. Zudem reichern sie es mit plattdeutschen Vokabeln an. Und diese künstliche, hart klingende Sprache löst das echte Hochdeutsche immer mehr ab. Schade !

SZ: Also lieber auch in einer globalisierten Welt Dialekt sprechen, auch wenn ich als Sachse, Schwabe oder Hesse für meine Sprache belächelt werde ?
Natürlich, das darf man sich nicht verbieten lassen. Schönheit ist für Sprache keine Kategorie. Sprachen sind schön für diejenigen, denen sie eine Heimat bieten. Und es ist durchaus Selbstbewusstsein angebracht.

Interview: Viktoria Grossmann


30. Arnbacher Gespräche der Katholischen Landvolkbewegung
Zweiter Abend mit Gerald Huber "GemeinschaftsGeist - Sprache und Heimat"
Pressemitteilung des Katholischen Landvolks


Mit dem Thema "GemeinschaftsGeist – Sprache und Heimat" setzte Referent Gerald Huber die 30. Arnbacher Gespräche der Katholischen Landvolkbewegung (KLB) fort. Huber ist Journalist beim Bayerischen Rundfunk, Sprachwissenschaftler und Mitglied bei den Münchner Turmschreibern.

Der Referent zog einen weiten Bogen von den Wurzeln der indogermanischen Sprache und den Gemeinsamkeiten der heute gesprochenen Sprachen von Indien bis Westeuropa bis hin zur Sesshaftwerdung des Menschen und der Entwicklung der Agrikultur zwischen Euphrat und Tigris vor etwa 12.500 Jahren.

Sprache entwickelte sich zunächst aus lautmalerischen Tönen.
Als Beispiel nannte Huber den Ton, der beim Anblasen von Feuer entsteht: Feuer, engl. fire, frz. feu, span. fuego, aber feiern am Feierabend (am Lagerfeuer) und profan (= vor dem Feuer).

Auch bei Tieren gibt es unterschiedliche Entwicklungsstadien von Sprache und Verständigung. Für die menschliche Sprache jedoch war auch die anatomische Entwicklung des Kehlkopfs entscheidend. Demonstrativ öffnete Huber bei der Beschreibung dieses Sachverhalts den Kragenknopf, um besser reden zu können.

Kinder können sich nur bis zum dritten Lebensjahr zurückerinnern. Huber erklärt dies damit, dass Sprache, Erinnern und Bewusstsein eng zusammenhängen. Da das Kleinkind die Sprache erst noch lernen muss, fehlen ihm Wörter und Begriffe, um Ereignisse in diesem Lebensabschnitt als Erinnerung im Gehirn zu speichern. Unsere Sprache übernehmen wir von unseren Mitmenschen und Vorfahren. Sprache dient der Verständigung, der Gestaltung von Gemeinschaft und ist darüber hinaus wesentlicher Teil unserer Identität. Sprache ist ein Stück Heimat, die man überallhin mitnehmen kann.

Eine Sprache muss man mit jemandem reden können, dann ist sie auch Heimat. Nach Darstellung des Referenten ist Sprache aber mehr. Sie ist ein göttliches Ding. Dabei verweist er auf das griechische Wort Logos, was Wort, Sprache, aber auch Sinn bedeutet. Das Wort Logos beschreibt im Neuen Testament eine schöpferische Kraft, wird aber auch schon 500 v. Chr. vom griechischen Philosophen Heraklit oft und zentral bearbeitet.

Ein zentrales Credo Hubers lautet, wer die Sprache eines andern abwertet, trifft ihn in seinem tiefsten Innern und schließt ihn damit aus der Gemeinschaft aus. Und wer seine eigene Sprache entwertet, weil er schlampig mit ihr umgeht, entwurzelt sich selbst.


In der Aussprache mit dem Referenten wurde die Angst geäußert, dass der bayerische Dialekt verloren gehen könnte. Einige Teilnehmer plädierten deshalb für eine stärkere Pflege der bayerischen Sprache und ihre weitere Entwicklung. Das Wort Dialekt stammt aus dem Griechischen und bedeutet miteinander reden. Im Gespräch der Teilnehmer miteinander wurde deutlich, dass nicht alle bayerisch sozialisiert waren und dass unterschiedliche Muttersprachen durchaus konfliktträchtig wirken können.
Die von den Teilnehmern dazu eingebrachten Erfahrungen zeigten diese Möglichkeiten auf. Ein Beispiel war die Forderung "Lern du erst mal richtig Bayrisch/Deutsch, bevor du mitreden kannst...!"

Schnell wurde im Gespräch auch klar: miteinander reden kann so manche Konfliktsituation entspannen helfen. Miteinander reden, kann auch im Dialekt geschehen.

Beim nächsten Arnbacher Gesprächsabend geht es um das Thema "In weltkirchlicher Verbundenheit die Chance zur Gestaltung der eigenen Heimat entdecken." Das Katholische Landvolk Dachau erwartet dazu Wolfgang Huber, Präsident von Missio. Das internationale katholische Missionswerk Missio fördert Projekte in Afrika, Asien und Ozeanien. Der Gesprächsabend findet am Donnerstag, 5.03.2015, 19.30 Uhr, im Pfarrhof Arnbach statt.



Ein Bericht mit in etwa gleichlautendem Text erschien in den Dachauer Nachrichten vom 24.2.2015


Göttliches Ding
Arnbacher Gespräch zum Thema Sprache und Heimat
Dachauer SZ v. 2.März 2015 - JERB

Arnbach - "Wer die Sprache eines andern abwertet, trifft ihn in seinem tiefsten Innern und schließt ihn damit aus der Gemeinschaft aus. Und wer seine eigene Sprache entwertet, weil er schlampig mit ihr umgeht, entwurzelt sich selbst".
Gerald Huber, Sprachwissenschaftler, Mitglied der Münchner Turmschreiber und Journalist, entfaltete auf dem Arnbacher Gespräch der Katholischen Landvolksbewegung zum Thema Heimat das Verhältnis von Sprache und Moral.
Sprache diene der Verständigung, der Gestaltung von Gemeinschaft und ist darüber hinaus wesentlicher Teil unserer Identität, sagte er. Sie sei ein Stück Heimat, die man überallhin mitnehmen kann.

"Eine Sprache müsse man mit jemandem reden können, dann ist sie auch Heimat". Dazu zog Huber einen weiten Bogen von den Wurzeln der indogermanischen Sprache und den Gemeinsamkeiten der heute gesprochenen Sprachen von Indien bis Westeuropa bis hin zur Sesshaftwerdung des Menschen und der Entwicklung der Agrikultur zwischen Euphrat und Tigris. Sprache ist für den Referenten aber noch mehr: "Sie ist ein göttliches Ding". Dazu verwies Huber auf das griechische Wort Logos, was Wort, Sprache, aber auch Sinn bedeutet. Das Wort Logos beschreibt im Neuen Testament eine schöpferische Kraft.

Den Zuhörern ging es in der Diskussion um einen besonderen Aspekt: den der Authentizität. Und in diesem Zusammenhang um den bairischen Dialekt. Sie äußerten die Sorge, dass er verloren gehen könnte. Deshalb plädierten sie für eine stärkere Pflege. Das Wort Dialekt stammt aus dem Griechischen und bedeutet miteinander reden. Das Dilemma dieser Forderung wurde in der Versammlung schon dadurch deutlich, weil nicht alle Teilnehmer aus Oberbayern stammten.

Beim nächsten Gesprächsabend......


Bilder: Alfred Bayer

Ankündigung der Arnbacher Gespräche 2015 in der Presse
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